Hallo meine lieben Leser!
Erst einmal möchte ich mich für die lange Funkstille entschuldigen. Für einige von euch erscheint dieser Beitrag etwas überraschend. Doch aus bestimmten Gründen war es mir nicht möglich euch früher von meiner Situation in Kenntnis zu setzen.
Im Folgenden, möchte ich euch von einigen Ereignissen berichten, die im Zusammenspiel mit kulturellen Unterschieden und Missverständnissen, zu unserem Projektwechsel geführt haben. Dafür muss ich etwas weiter ausholen, denn der erste Zwischenfall ereignete sich am 12. August.
In der Nacht vom Freitag, den 11. August, zum 12. August brach ein Junge des Heims, während Tanja und ich schliefen, in unser Zimmer ein. Der Einbruch wurde durch Tanja bemerkt, die auf Grund ihres sehr unruhigen Schlafes mitten in der Nacht erwachte. Dabei ertappte sie den 15-jährigen, der nur mit seiner Unterhose bekleidet, neben unserem Bett saß und uns beim Schlafen anstarrte. Die Situation konnte zum Glück ohne Komplikationen aufgelöst werden.
Ihr fragt euch sicher wie dieser Junge in unser Zimmer eindringen konnte.
Tanja und ich lebten alleine im ersten Stock des Heimes. Die Jungen hatte ihre Schlafräume im zweiten und die Mädchen ihre im dritten Stock. Zu den einzelnen Stockwerken führen zwei Treppenaufgänge. Einen dürfen nur die männlichen und den anderen nur die weiblichen Bewohner benutzen. Die Zugänge zu den Treppen sind jeweils durch Gittertore, die mit Vorhängeschlösser verriegelt sind, gesichert bzw. verschlossen. Unsere Wohnungstür besaß zusätzlich noch ein extra Schloss und von innen konnten wir die Tür, mit einem Riegel verschließen. Außerdem besaßen Tanja und ich zwei Schlüssel für die Tür im Mädchen Aufgang. Der Schlüssel für das Schloss beim Jungen Treppenaufgang befand sich hingegen im Schlüsselkaten im Büro, für jeden zugänglich. Denn auf unsere Etage gab es, abgesehen von unserem Raum, noch die Bibliothek, den Computer-, den Konferenz- und den Gebetsraum.
Nachts wurde dann noch zusätzlich die Treppenausgänge im Erdgeschoss mit Gittertoren verschlossen, so dass kein Kind ausbrechen konnte. Zu dieser Tür besaß nur die Hausmutter einen Schlüssel.
Da wir uns durch zwei vergitterte und verschlossene Tore reichlich sicher und etwas gefangen fühlten, verschlossen wir unser Zimmer nachts nicht auch noch von Innen. Ein Fehler wie uns nach dem Vorfall bewusstwurde. Denn der Junge konnte sich ganz einfach den Schlüssel zu unserer Etage im Büro stehlen und so ohne weiteres Hindernis in unser Zimmer eindringen. Wir wissen nicht ob es vor diesem Vorfall schon weitere Nächte in seiner Anwesenheit gegeben hat.
Am nächsten Tag, berichteten wir Mr. Lal von dem Vorfall. Eine Sache die ich ihm sehr hoch anrechne ist die Tatsache, dass er sofort handelte. Denn noch am selben Tag verließ der Junge, mit seinem jüngeren Bruder, das Heim. Obwohl der Junge mit seinem Bruder gegangen war, konnte ich mich in dem Heim, nach dem Vorfall, nicht mehr hundertprozentig sicher fühlen. Besonders deutlich bemerkten ich diese Veränderung an den unzähligen Stunden die ich nachts wach lag oder an meinem unruhigen Schlaf. Auch fühlte ich mich immer angespannt, wenn ich nachts Lichtreflektionen oder Schatten vor unseren milchigen Fenstern sah.
Leider, veränderte sich mit dem Verschwinden der Jungen nicht nur unser Schlafrhythmus, sondern auch die Einstellung der älteren Kinder uns gegenüber. Denn die beiden Brüder hatten Freundinnen unter den Heimbewohnerinnen. Verständlicherweise, nahmen besagte Mädchen den Verlust ihrer Freunde nicht sehr gut auf.
Jedoch veränderte sich ihr Verhalten uns gegenüber ins Negative. Denn meines Wissens, beschuldigten die Mädchen uns, an dem Verschwinden der Jungen. So wurden wir nach und nach von allen älteren Mädchen ignoriert und missachtet. Zusätzlich wurde den kleinen Kindern der Umgang mit uns verboten. Die erschwerte unseren Alltag im Heim ungemein. Ich fühlte mich mehr und mehr unerwünscht und fehl am Platz. Alles in allem kein schönes Gefühl. Gerade weil ich mit viel Freude und Motivation in dieses Projekt gekommen bin, um etwas über die andere Kultur und Lebensweise zu lernen
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Sonntag, an unserem einziger freier Tag, wollten wir unsere Freizeit nutzen, um etwas Obst zu kaufen und gleichzeitig Taiping zu erkunden.
Zuerst, fragten wir, wie gewohnt, Mr. Lal, der uns auch gleich ein zwei der älteren Mädchen zu wies. Dennoch wollten Tanja und ich noch Jessica mitnehmen, eines der älteren Mädchen des Heimes. Denn die Kinder kommen nie nach draußen. Die einzige Zeit die die Kinder außerhalb des Heimes verbringen, ist der Schulweg plus Schule, Tempelaufenthalte und gesponsertes Essen außerhalb des Heimes. Da sich Jessica im Projekt nicht wohlfühlte, wollten wir ihr mit dem kleinen Ausflug eine Freude machen.
Zunächst war Mr. Lal nicht sehr erfreut über unsere Idee, doch schließlich erlaubte er uns Jessica mit nach draußen zu gehen. Freudestrahlend berichteten wir ihr sogleich von den guten Neuigkeiten. Doch kaum zwei Minuten später erschien die Matron neben uns und machte alle Freude mit ihren harschen Worten zunichte. Jessica war es nicht erlaubt nach draußen zu gehen. Zwar durfte Tanja und ich immer noch das Heim für unseren Ausflug verlassen, aber nicht mit Jessica.
Natürlich wollte ich den Grund für diese sprunghafte Meinungsänderung wissen. Doch anstatt mir sachlich zu erklären wie oder besser gesagt warum es zu der Änderung gekommen war, schnauzte mich die Matron barsch an. Ich hätte keine Fragen zu stellen, nur den Befehlen zu folgen. Mit dieser heftigen Reaktion hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.
Doch bevor wir alleine aufbrechen konnten, wurden wir ins Büro gerufen. Dort trug uns Mr. Lal auf zu warten und auf das Telefon aufzupassen bis der Warden, der gerade die Kinder zum Friseur brache, wiederkam. Tja, lustigerweise erschien der Warden erst nach mehr als zwei Stunden. In dieser Zeit klingelte, natürlich, nicht ein einziges Mal das Telefon und zusätzlich fing es an zu schütten. Nach alldem, hatten wir keine Lust mehr gehabt nach draußen zu gehen und verbrachten den Rest des Tages in unserem Zimmer.
Doch anscheinend waren wir noch nicht genug gestrafft. So erhielten wir von der Matron später am Tag noch eine Standpauke. Obwohl wir immer lange und weite Hosen trugen und dazu schlabberige T-Shirts missfiel ihr die Art wie wir uns kleideten. Indirekt gab sie uns so auch die Schuld für das Einbrechen des Jungen in unser Zimmer. Ihrer Meinung nach kleideten wir uns viel zu aufreizend. Am Ende des Gespräches durfte ich nur noch ungefähr vier meiner mitgebrachten T-Shirts tragen.
Außerdem, sprach die Matron noch den Vorfall mit Jessica an. Dabei erklärte sie uns, mehr oder weniger, warum Jessica nicht zum Ausflug mit durfte. Die Begründung: Jessica würde versuchen wegzulaufen.
Nach diesem schwierigen zu verdauenden Wochenende ging es Tanja und mir sehr schlecht. Im Nachhinein kann ich sagen, dass dieses Wochenende alles veränderte. Unsere Beziehungen zu allen Angestellten und Heimbewohnern hatten unter diesen Ereignissen stark gelitten und auch unser Wohlbefinden und unsere Einstellungen dem Projekt gegenüber.
Eine Sache, die mich zuerst nicht sonderlich störte, war die Tatsache, dass ich nicht bei meinem Namen gerufen wurde. Schon zu Anfang habe ich mich bei alle mit „Henny“ vorgestellt. Doch selbst mein Spitzname schien den Mitarbeitern und Kindern Schwierigkeiten zu bereitet. Denn ich wurde entweder gar nicht angesprochen oder nur indirekt in einem Gespräch mit „die andere“ betitelt.
Wie ihr wisst waren, bis auf eine Ausnahm, die Angehörigen des Heimes Hinduisten. Daher standen zusätzlich zu allen anderen Aktivitäten auch mindestens einmal pro Woche Tempelbesuche auf unserem Wochenplan. So zwängten wir uns einmal mehr in die unbequemen Punjabi und gesellten uns zu den Kindern, die in Begleitung der Hausmutter, zum nahegelegenen Tempel marschierten.
Zunächst freuten wir uns sehr darüber, in den Tempel gehen zu können und einen weiteren Teil der Kultur kennenzulernen. Doch diese Freude währte nicht sehr lange.
Als ich zum ersten Mal einen hinduistischen Tempel betrat, war ich begeistert und freute mich über die neuen Eindrücke und Erfahrungen. Doch die Anweisung die wir von Mr. Lal, bezüglich des Verhalten im Tempels, erhielten, empfand ich als etwas merkwürdig, „Macht den Leuten dort einfach alles nach.“ Ich dachte viel über diese Aussage nach. Tanja und ich verstanden die Abläufe der Gebete, deren Bedeutungen und die Gesten nicht. Daher konnte und viel mehr wollte ich nicht einfach blind alles kopieren, was die Menschen dort taten.
Also suchten wir bei den Kindern nach Antworten. Jedoch bekamen wir nur ein „Keine Ahnung“ als Antwort. Ich war etwas verwundert, kannten denn selbst die Kinder die Bedeutung hinter ihren Gebetsabläufen nicht? Doch wir führten diese Antwort auf Grund ihrer schlechten Englischkenntnisse zurück und fragten, bei der nächsten Gelegenheit die sich uns bot, eine Hausmutter. Erst später wurde uns bewusst, dass wir eine Christin gefragt hatten und sie uns deshalb nicht weiterhelfen konnte. Zuletzt suchten wir bei einem der vielen Leute, die zur selben Zeit den Tempel besuchten, nach Rat.
Als noch schlimmer empfand ich das Verhalten der Menschen uns gegenüber. Ich weiß nicht ob ihr es nachvollziehen könnt, wie nervig und anstrengend es ist immer auf Grund seiner Haut- oder Haarfarbe, so dermaßen angestarrt und speziell behandelt zu werden.
Es fängt bei den Motoradfahrern in der Stadt an, welche uns immer anbrüllen oder an hupen, über die Menschen in den Einkaufshallen, den Sponsoren im Kinderheim bis hin zu den Leuten im Tempel. Es hört einfach nicht auf. Jeder der uns sieht bleibt gaffend stehen, machen ihre Freunde und/oder Verwandte auf uns aufmerksam, deuten mit den Fingern auf uns. Dann werden die Handys aus der Tasche gezogen und mal mehr mal weniger auffällig, schießt dann jemand ohne zu fragen Bilder von uns. Die nettere Variante enthält manchmal noch die Frage wo wir denn herkommen und ob ein Foto geknipst werden darf. Kinder sind fast noch schlimmer als die Erwachsenen, da die Kinder weniger Schamgefühl verspüren.
Als Gegenangriff habe ich schon vieles Versuch: zurückstarren oder so tun als ob ich auch ein Bild von ihnen mache, aber eigentlich hilft es auch nicht. Ignorieren eignet sich am besten. Doch manchmal kann ich die Leute nicht ignorieren.
Ich empfinden dieses Verhalten mir und anderen Freiwilligen und Tauschis gegenüber schon als eine Art von Rassismus und wenigstens als starke Diskriminierung. Die Leute hier denken einfach nicht darüber nach wie wir uns fühlen, wenn wir so behandelt werden. Wir sind nichts besser, nur weil wir eine hellere Haut haben! Wir sind nicht anders! Wir sind auch nur Menschen und möchten auch wie welche behandelt werden und nicht wie Tiere in einem Zoo!
Im Weiteren möchte ich noch zwei Punkte ansprechen. Zuerst die gesponserten Abend- und Mittagessen, welche in der Regel für Tanja und mich eine sehr unangenehme Situation darstellten.
Zuerst mussten Tanja und ich erst einmal in Erfahrung bringen ob ein Essen spendiert wurde. Dafür gab es grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Erstens, an der großen Tafel im Speisesaal stand vermerkt wer und was spendiert wurde Teatime, Mittagessen oder Abendessen. Dabei wurde das zuletzt genannte Essen am häufigsten gesponsert oder die Kinder behielten ihre traditionelle Kleidung noch nach dem 19.00 Uhr Gebet an.
Bei den relativ häufig gesponserten Abendessen wurde, jedoch, nicht nur ganz unspektakulär das Essen gesponsert. Meistens war das Essen noch mit einem Geburtstag und einmal sogar mit einer Todesfeier verbunden. So gab es vor dem eigentlichen Essen noch ein gesungenes Lied und tausend Bildern von den glücklichen Heimkindern und den Freiwilligen um den Geburtstagstisch.
Erst nach Beendigung der Fotoreihe durften zuerst die Jungen und danach die Mädchen ihr bei den Stolzen Sponsoren abholen. Nachdem wir alle beim Essen noch zehnfach abgelichtet wurden. Erhielt jedes Kind noch eine kleine Tüte mit, lustigerweise immer den gleichen, Süßigkeiten.
Tanja und ich versuchten nach dem Abendessen immer so schnell wie möglich in unser Zimmer zu gelangen. Schafften wir es nicht unbemerkt nach oben, stand uns ein halbstündiges Blitzlichtgewitter bevor.
Im Großen und Ganzen hatte ich nie das Gefühl, dass die Sponsoren der Kinder wegen einen solchen Aufstand mit dem Essen, Kuchen und Süßigkeiten. Ich bin der Meinung, auch wegen der tausend Bilder die immer geknipst wurden, dass diese Veranstaltungen nur dazu dienten das Image der Sponsoren zu verschönern. Ich möchte gar nicht wissen auf wie vielen Instagram Stories und Facebook Accounts ich zu sehen bin.
Zuletzt möchte ich euch noch etwas über unseren Mentor, Mr. Lal, erzählen. Am Anfang erschien uns Mr. Lal als ein sehr netter und hilfsbereiter Mann. Er schien recht begeistert von uns zu sein und das übertrug sich auch auf uns.
Ich hatte das Gefühl willkommen zu sein und obwohl das Projekt nicht meinem Wunsch entsprach, war ich motiviert mein Bestes zu geben und mich so gut wie es geht in mein neues Umfeld einzufinden. Doch viel zu früh begannen uns Dinge auf zu fallen, die unser Bild von Mr. Lal ins Wanken brachten. Ich möchte diese Dinge gar nicht aufzählen, jedoch häuften sich mit der Zeit immer mehr an, welche die gegenseitige Sympathie fortwährend schmälerte.
Im Endeffekt, erfuhren wir aus einer sicheren Quelle, das Mr. Lal überhaupt gar keine Freiwilligen mehr aufnehmen und auch betreuern wollte. Mit diesem Wissen ergibt sein Verhalten uns gegenüber auch einen Sinn.
Am 18. September verließen, Tanja und ich mit einem tränenden und einem lachenden Auge, schließlich das Rumah Kanak-Kanak. Egal wie schlecht es uns während der Zeit im Heim ging, weder Tanja noch ich wollten unsere Zeit in Malaysia frühzeitig abbrechen!
In keiner Weise bereue ich meine Entscheidung, denn wir haben alles gegeben um im Rumah Kanak-Kanak zu bleiben. Es war uns am Ende, auf Grund der vielen schlechten Erlebnisse und der fest gefahrenen Situation, einfach nicht mehr möglich dort länger zu bleiben.
Ich möchte mich hier mit, auch im Namen von Tanja, noch einmal bei AFS Deutschland für ihre Unterstützung und Rat bedanken!
Solltet ihr noch Fragen bezüglich des Projektwechsels haben, könnt ihr mir diese jeder Zeit stellen. Schreibt mir eine E-Mail. Meine E-Mail Adresse findet ihr im Impressum oder schreibt lasst mir ein Kommentar da.
Liebe Grüße
Hendrikje